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Wall
Street Journal Europe,
Updated March 5, 2002 1:06 a.m. EST
Von
Brian-M. Carney
Verfasser von Editorials für das "Wall Street Journal
Europe"
(Übersetzung
aus dem englischen Original)
Die Schweizer Zeitung Le Matin kündigte in ihrer Sonntagsausgabe
an, die Schweiz habe entschieden, der UNO beizutreten - nachdem
sie sich 50 Jahre herausgehalten hatte - illustriert mit der Zeichnung
einer amerikani-schen Weinlese. Unter der Überschrift "Dies
ist ein kleiner Schritt für die Welt, aber ein grosser Sprung
für die Schweiz!", schilderte die Karikatur einen Schweizer
Landarbeiter als Neil Armstrong, von einem Mond - als "Schweiz"
bezeichnet - auf der Erde landend und Kofi Annans Hand schüttelnd.
Der Leitartikel über die Ab-stimmung trug die Überschrift:
"Die Schweizer fürchten die UNO nicht".
Gegner
der Schweizer Mitgliedschaft - alles Schweizer - waren so apokalyptisch
gestimmt wie die Befürworter jubilierten. "Die Freiheit
und die Rechte des Volkes werden beschnitten werden", erklärte
Christoph Blocher, ein Mitglied des Schweizer Parlaments, welcher
die Opposition anführte. Die UNO als eine Bedrohung der Freiheit?
Wer schreibt diese Pressekommuniqués, die Miliz von Montana?
Die UNO kann nicht einmal Waffeninspekto-ren in den Irak schicken;
wie könnte sie die Schweiz bedrohen? Über die Alpen hinaus
herrschte allgemeines Lob über das Resultat. Die New York Times
schrieb über das Land, welches die Welthandelsorganisation,
die Weltgesundheitsorganisation und den europäischen Hauptsitz
der UNO selbst beherbergt, die Schlagzeile: "Die Schweiz nimmt
einen Schritt ihrer Isolierung zurück". Die Schweden,
deren " Bitte besetzt uns nicht!"-Charakter der Neutralität
scharf mit der Schweizer Verpflichtung zur Territorialverteidigung
kontrastiert, fügte eine ähnli-che Anmerkung an: eine
schwedische Zeitung nannte die "Ja"-Stimme einen "Schritt
Richtung Öffnung zur Erschliessung der Aussenwelt". Der
Britische Aussenminister Jack Straw war gleichermassen überschwänglich
und erklärte, der Anschluss an die UNO würde die Schweiz
"ans Herz der globalen Beschlussfassung" binden, anscheinend
war er ahnungslos, dass die Schweiz bereits die inoffizielle Hauptstadt
der "internationalen Ge-meinschaft" ist.
Für
die Schweden, die Briten und die Times ist dieses Entzücken
verständlich und kommt insofern mit einer unvermeidlichen Note
von Schadenfreude daher, als die über allem stehenden Schweizer
sogar die Beachtung und die Akzeptanz der "internationalen
Gemeinschaft" suchen. Sie ist aber nicht, wie Le Matin es gerne
haben möchte, eine Frage "der Schweizer, welche die UNO
fürchten". Vielmehr hatte die UNO den Schweizern ihr Beispiel
der Unabhängigkeit lange übelgenommen; sie war eine Art
dauerhafter Dorn im Auge der "internationa-len Gemeinschaft".
Weil die meisten Nationen ihre Legitimation erst durch die UNO-Anerkennung
beziehen, hätte die Headline für das Abstimmungsergebnis
lauten können: "Die Schweizer gewähren die Anerkennung
durch die UNO!" All dies macht die offensichtliche Vertrauenskrise
der Schweiz um so enttäuschender. Warum nach so vielen Jahren
der stolzen Unabhängigkeit dieser plötzliche Wunsch nach
"Anerkennung" ? Und es ist wirklich plötzlich, denn
vor gerade 15 Jahren wiesen die Schweizer die UNO-Mitgliedschaft
mit einem Stim-menverhältnis von 3 zu 1 zurück. Haben
die Legenden von Wilhelm Tells Herausforderung der Habsburger und
andere Geschichten der unbändigen Schweizer Unabhängigkeit
ihre Kraft verloren?
Dieser
Moment ist schon lange von einer einzigen Gruppe Schweizer herbeigesehnt
worden - von den Politi-kern. Für diese in der Regierung einer
Gebirgsnation von sieben Million Seelen sitzenden Repräsentanten
führt der einzige Weg des politischen Aufstiegs nämlich
nicht nach oben, sondern hinaus. Aber wohin wollten sie denn gehen,
nachdem sie Bern erreicht hatten, und Genf - in ihrem eigenen Hinterhof
gelegen - für sie verschlos-sen war? Unbändige Schweizer
Unabhängigkeit, Du steuerst auf eine einsame Zeit zu, wenn
deine politischen Gefährten in einem viel grösseren Teich
zu spielen wünschen!
Schweizer
Politiker hatten schon lange versucht, in die internationale Gemeinschaft
einzubrechen, ausschliess-lich von ihrem eigenen halsstarrigen Volk
daran gehindert, welches Wilhelm Tell mit seiner Muttermilch einge-sogen
hatte. Und, um fair zu sein, hatte die Schweizer Version der bewaffneten
Neutralität dem Land gut ge-dient, die Verwüstungen durch
zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts zu vermeiden; das ist einer
der Gründe, weshalb die Schweiz heute zu den reichsten Ländern
der Welt gehört.
Der
Schweizer Karikaturenzeichner ungeachtet ist es auch nicht so, als
ob die Schweizer auf dem Mond gelebt hätten. Das internationale
Tribunal für das ehemalige Jugoslawien wird von Carla Del Ponte
angeführt, einer Schweizerin. Und wenn Drittweltdespoten einen
Platz für ihre Beute suchen, sind "Swiss bank account"
die ersten Worte auf ihren Lippen. Dann gibt es die Vereinbarungen
der internationalen Gemeinschaft, ihre Mitglie-der zu schützen.
Wer würde es vorziehen, im zweiten Weltkrieg Polen gewesen
zu sein mit seinen Sicherheitsga-rantien von Grossbritannien und
Frankreich, anstatt die Schweiz, welche auf sich selbst gestellt
war? Tatsache ist, die Schweiz ist auf viele Arten das internationalste
Land in der Welt, mit weltumspannenden Bankbeziehun-gen und einer
dominierenden Position im Markt für internationale Organisationen.
Es ist nicht "Isolationismus", welcher die New York Times
an den Schweizern bemängelt, es ist vielmehr die Ablehnung
der Schweiz, das "Spiel mitzuspielen". Wenn alle stark
einer Idee der Wichtigkeit des gemeinsamen Tuns verhaftet sind und
ha-ben da einen, der ausserhalb steht - und noch schlimmer, sogar
erfolgreich - so ist das tief irritierend. Aber sol-ches Denken
verwechselt "internationaler Verpflichtung" mit "Teilnahme
an der Bürokratie".
Nun,
da auch die Schweizer auf der Innenseite sind, sind sie gerade mal
ein (kleines) Land unter 190. Vor dem Abstimmungssonntag standen
sie draussen und erhielten die ganze Aufmerksamkeit (und auch die
Ressenti-ments), welche aus dem Mut folgt, der Herde zu widerstehen.
Noch immer ist der Wunsch nach Akzeptanz ein starker Trieb, und
das Schweizer Volk, oder knapp über die Hälfte davon,
sind ihm endgültig erlegen. Kein Wunder, freuen sich alle anderen
darüber.
Brian-M.
Carney
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