Der stille gefährliche Abbau der Volksrechte

Die überbordende Propaganda der Beitrittsbefürworter zur UNO hat die Anhänger der direkten Demokratie wachgerüttelt. Die Volksrechte und das Ständemehr sind unser höchstes Gut. Die direkte Demokratie ergänzt die repräsentative wirkungsvoll. Allfällige Fehlentscheide der Bundesversammlung können durch Volk und Stände korrigiert werden. Die aggregierte Ueberzeugung von vielen hunderttausend Stimmenden ist wahrscheinlich eher richtig und den allgemeinen Interessen angepasster als jene von 200 bis 250 Bundes-, Stände- und Nationalräten. Dadurch wird auch der Verfolgung von Sonderinteressen der politischen Elite und anderer Gruppen eine Grenze gesetzt. Die Legitimation dieser Volksentscheide ist jedenfalls, insbesondere gegenüber den vielen Minderheiten in der Eidgenossenschaft, höher als bei jeder andern Staatsform. Sie hält Volk und Stände zusammen. Wenn die Stimmbürgerschaft falsch entscheidet, hat sie die Fehlentscheidung ihrer Mehrheit und deren Folgen direkt zu verantworten und zu tragen.

Die direkte Demokratie basiert auf der Gewaltentrennung. Parlament und Volk stellen die gesetzgebende, der Bundesrat die vollziehende und das Bundesgericht die richterliche Behörde dar. Diese drei Gewalten müssen sich gegenseitig kontrollieren und im Gleichgewicht halten. Der Ausbau des Leistungs- und Versorgerstaates und dessen Internationalisierung hat Aufgaben, Kompetenzen und Macht des Bundesrats gewaltig verstärkt. Umso aufmerksamer müssen Parlament und Volk den Bundesrat und die Bundesverwaltung Ÿberwachen. Sie müssen Uebergriffe der Exekutive in die Gesetzgebung strikt zurückweisen. Insbesondere dürfen Bundesrat und Bundesverwaltung nicht verfälschend mit Propaganda in das Abstimmungsverfahren eingreifen. Gemäss Gesetz darf der Bundesrat die Stimmbürger einzig zu Beginn des Abstimmungsverfahrens kurz und sachlich unter Darlegung der Argumente der Minderheiten im Bundesbüchlein unterrichten. In Radio und Fernsehen darf er vereinzelt und zurückhaltend kurze Statements abgeben.

In den letzten Jahren, insbesondere bei der UNO-Abstimmung, haben Bundesrat und Bundesverwaltung die Gewaltentrennung, den Schutz der Meinungsbildungsfreiheit und des Rechts auf unverfälschte Stimmabgabe (BV Art 16 und Art 134) klar verletzt. Das Bundesgericht auferlegt den kantonalen Behörden zum Schutz der direkten Demokratie grosse Zurückhaltung und verbietet ihnen jegliche Propaganda. Nach konstanter Gerichtspraxis dürfen Behörden nicht ohne triftige Gründe in den Abstimmungskampf eingreifen in der Absicht, die Stimmbürger zur Annahme einer Abstimmungsvorlage zu bewegen.

Diese gesetzlichen Beschränkungen missfallen Bundesrat und Bundesverwaltung. So haben sich unter der Führung von Vizekanzler Casanova die Informationsdienste der verschiedenen Departemente zusammengesetzt. Sie haben im November 2001 eine Broschüre "Das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen" verfasst. Trotz einer anderslautenden Stellungnahme des Staatsrechtlers Prof. Dr. Georg Müller empfehlen sie darin, dass Bundesrat und Bundesverwaltung unter dem Deckmantel der Information eigentliche Abstimmungskampagnen mit gehäuften Bundesratsauftritten an Anlässen, in Radio und Fernsehen, Interviews in Medien etc. führen. Weiter wurde Bundesrat und Bundesverwaltung folgender Weg zur Beeinflussung der Stimmbürgerschaft aufgezeigt: Absprache von Parolen mit Spitzenvertretern von Politik, Wirtschaft, Militär, Kirchen und Kultur, Durchführung von Medienseminarien, auch Hintergrundgespräche mit Lokalmedien, Durchführung von Konferenz und Ausstellungen, Veranstaltungen von Events, Abgabe von Broschüren, Musterreferaten, Argumentarien, Disketten, Videokassetten, Beizug von externen PR-Fachleuten, Durchführung von Meinungsumfragen in allen Stadien des Abstimmungskampfes, etc. Der Bundesrat soll gewinnen und den Entscheid nicht dem abwägenden Gutdünken der Stimmbürger, Stimmbürgerinnen und der Stände überlassen.

Mit diesem Vorgehen verletzen Bundesrat und Bundesverwaltung die ihnen gesetzlich auferlegten Beschränkungen schwer. Sie verletzen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung, der Meinungsbildungsfreiheit, über die freie unverfälschte Stimmabgabe, jene der direkten Demokratie und der föderalistischen Grundsätze über das Ständemehr (bei Verfassungsäderungen und Staatsverträen) offensichtlich. Dabei hat Prof. Dr. Georg MŸller in seinem Gutachten nachdrücklich darauf hingewiesen, dass solche Eingriffe in das demokratische Abstimmungsverfahren der Exekutive ohne Aenderung von Art. 11 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte und von Art 6 Abs 3 und Art 18 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen unzulässig seien. Das Zusammenspiel des Autoritätsvorsprungs von Bundesrat und Bundesverwaltung mit dem Fast-Kartell der Medien stellt eine Gefahr für den Staat, die freie Meinungsbildung und unverfälschte Stimmabgabe, d.h. die direkte Demokratie dar. Die Gefahr ist umso höher, als die Bundesverwaltung heute mit PR-Beratern und spin-doctors, die die Information zum Zwecke der Beeinflussung des Stimmvolkes umgestalten, zusammenarbeiten. Die Information wird so dargestellt, dass sie die Bürgerschaft schluckt. Die Wahrheit wird verbogen. Der Abstimmungskampf wird zusammen mit den zu wenig kritischen Medien subversiv geführt. Die Demokratie wird leise und versteckt von einer direkten Demokratie in eine propagandistisch indoktrinierte Führungsdemokratie umgewandelt. Schon Lenin, der Gründer der Sowjetdiktatur, sprach von geführter Demokratie. Wir müssen aufstehen und unsere Volksrechte gegen die eigene Regierung, die diese Volksrechte schützen sollte, verteidigen. Wenn nicht Parlamentarier sich mit Motionen zur Wehr setzen, müssen wir Stimmbürgerinnen und Stimmbüger dies auf dem Weg einer Initiative tun.

Hans Baur