Hat Deiss wirklich den Patriotismus wiederentdeckt? - Nein!

Was ist denn da geschehen? Dasselbe Boulevardblatt, das noch vor kurzem keine Gelegenheit ausliess, die Schweiz schlechtzumachen, hat scheinbar wieder zum Nationalstolz zurückgefunden. Empört wurde das Umschlagblatt des neuen Buches von Stuart E. Eizenstat, dem früheren Unterstaatssekretär der USA, welcher für die sogenannten Entschädigungszahlungen der Schweizer Banken offizieller Verhandlungspartner war, auf die Frontseite gehoben. Darauf ist die Schweizer Flagge abgebildet, und dem Kreuz sind Goldbarren in Anordnung des Hakenkreuzes überlagert. Ein empörter Joseph Deiss wollte sich das nicht bieten lassen. Prompt liess das EDA die juristischen Möglichkeiten, um den Umschlag - selbstverständlich nicht das Buch - verbieten zu können, überprüfen.

Nun wollen wir mal überlegen, was das Ganze eigentlich soll. Uns Schweizern bedeutet unsere Nationalfahne natürlich einiges. Doch US-Amerikaner, die oft schon in der Schule jeden Morgen zum Fahnenapell antreten dürfen, beten ihr Sternenbanner regelrecht an. Was da das Urteil, dass das öffentliche Verbrennen der US-Flagge laut Beschluss des obersten Gerichtshofes eine freie Meinungsäusserung und legal sei, bedeutet, ist wohl klar. Dass unter diesen Vorzeichen nicht die geringste Möglichkeit besteht, einen solchen Buchumschlag zu verhindern, leuchtet auch sofort ein. Damit hätte sich das EDA sämtliche juristischen Prüfereien von vornherein getrost sparen können. Schlussendlich ist nämlich der Verlag Eizenstats der lachende Dritte - soviel Gratis-Werbung für ein Buch von seiten des Bundesrates stellt ein Novum dar.

Wenn schon, dann wäre nicht eine juristische, sondern eine politische Intervention in Betracht zu ziehen gewesen. Ob das Erfolg gehabt hätte, ist sehr fraglich. Trotzdem wäre zumindest ein diplomatischer Protest nicht schlecht gewesen. Oder wie sähe wohl die Reaktion der Amerikaner aus, wenn morgen Alt-Bundesrat Ogi, der immer noch gewisse offizielle Ämter ausübt, öffentlich den Sternenbanner verbrennen würde? Die Prüfung einer Klage? Wohl kaum! Es fände sofort eine politische Intervention statt.

Desweiteren ist die Aktion von Deiss gleich doppelt kontraproduktiv - denn während jetzt nur der Umschlag Thema der Diskussion ist, geht der Inhalt vergessen. Das Buch, das von einem in Geschichtskenntnissen relativ unbedarften US-Juristen verfasst ist und deswegen nicht gerade viel erwarten lässt, wird demnächst an dieser Stelle besprochen.

Deiss hätte besser den Inhalt zu gegebener Zeit verrissen - doch der könnte wahrscheinlich fast von der Bergier-Kommission stammen. Und hat nicht auch vor ein paar Jahren der ach so renommierte ETH-Soziologe ein Buch publiziert, das fast den gleichen Umschlag hatte: Anstatt dem weissen Kreuz war ein goldenes Kreuz mit dem Aufdruck Swiss Bank und einer Seriennummer von einem schwarzen Hakenkreuz auf rotem Grund überlagert.

Auch der Umschlag des Cash-Buches "Die Schweiz am Pranger" sah ähnlich aus. Da protestierte noch kein Bundesrat. Ganz im Gegenteil: Jean Ziegler empfahl sich mit seinem Machwerk für Höheres.

Abgesehen davon hat sich der Bertelsmann Verlag sowieso dazu entschlossen, die deutsche Version in neutralem Umschlag herauszubringen. Also ist die ganze Aufregung vergebens.

Es bleibt die Frage, was Deiss erreichen wollte. Vielleicht wollte er zwecks Aufbesserung seiner Beliebtheiswerte schnell den Patrioten markieren und das Thema, das ursprünglich einer SVP-Motion entspringt, aufnehmen. Doch die darauffolgenden Handlungen waren blödsinnig.

Während man viel interpretieren kann, ist die wahrscheinlichste Variante, dass der ins Wirtschaftsdepartement wechselnde Deiss schlicht und einfach ahnungslos und überfordert seinem üblichen Aktionismus folgte. Seine Umtriebe sind uns leider schon zur Genüge bekannt.

Ob die neue Vorsteherin des EDA, Micheline Calmy-Rey, zu dieser Frage und dem missglückten Vorgehen des EDA Stellung beziehen wird - das gehört seit ihrer so umjubelten Wahl nicht gerade zu ihren Stärken - bleibt abzuwarten.

Markus Mathys, ETH-Student, Zürich